Risse und Brüche. Am Ende geht es darum, wie man sie aushält. Ob man sie aushält. Wer eine vollkommene Welt braucht, um sich sicher und vollständig zu fühlen, ist anfällig für ausgrenzende Ideologien. Für den Hass auf Frauen und den Hass auf Juden, zum Beispiel. Wie diese beiden menschenverachtenden Haltungen zusammenhängen, hat mich Delphine Horvilleurs Essay „Überlegungen zur Frage des Antisemitismus“ gelehrt.
Die Frau als „das andere Geschlecht“ hat schon Simone de Beauvoir beschrieben. Horvilleur zeigt in ihrem Buch, wie das Bild des Anderen, des Abgelehnten, des zu Zerstörenden totalitären Weltbildern eingeschrieben ist. Und diese „Anderen“ sind in der christlichen wie auch der islamischen Denktradition der Jude und die Frau. Der „Christusmörder“ und die „Verführerin“, die in der christlichen Lesart für den Rausschmiss aus dem Paradies verantwortlich ist. Beide wurden mit dem Satan assoziiert. Beide wurden im Mittelalter verbrannt. Beide sind bis heute immer wieder beliebte Ziele öffentlicher Hassattacken, wie aktuell auch der oscarnominierte Film, „Anatomie eines Falles“ mit Sandra Hüller so minutiös analysiert. Diese Art Hass dient dazu, von der eigenen Unzulänglichkeit abzulenken. Dass man dafür nicht einmal reale Menschen braucht, zeigt sich in Indonesien, das als eines der judenfeindlichsten Länder der Welt gilt, wie David Pfeifer in der Süddeutschen Zeitung vom 27.2.24 schreibt. 74% der Indonesier hatten bei einer Erhebung im Jahr 2010 eine negative Meinung über Juden. Und jetzt ratet mal, wie viele Juden es in Indonesien gibt.
Weniger als 200. (Quellen: Deutsche Welle, SZ)
Was also könnte Menschen immun machen gegen ausgrenzenden Hass? Die Fähigkeit, Brüche und Risse auszuhalten, Widerspruch als Anregung, Verlust als Anlass zum Wachstum anzusehen, als Durchbrüche eben.
Wie kann man das lernen?